Nachhaltigkeit

Nachhaltige Gebäude für kritische Infrastruktur

Gebäude mit höchsten Sicherheitsstandards können in hohem Maße Nachhaltigkeitsansprüche erfüllen. Wir zeigen zwei Musterbeispiele von Fernando Menis Arquitectos.
Text: Linda Benkö

Kernkraftwerke und Justizvollzugsanstalten sind Bauwerke, die in ihrer Extremform höchste Sicherheitsstandards erfüllen müssen – aber der Bedarf hält sich in engen Grenzen. Laut nucleopedia befinden sich aktuell weltweit in acht Ländern 61 Kernkraftwerke in Bau. Es ist jedoch fraglich, ob die alle fertiggestellt werden. Über den derzeitigen Stand der Errichtung von Justizvollzugsanstalten finden sich keine derart präzisen Informationen. Immerhin aber spuckt die Suchmaschine Google bei der Recherche die Information aus, dass es in Bayern seit mehr als 20 Jahren an der Obersten Baubehörde eine Arbeitsgruppe gibt, die sich mit dem Bau von Justizvollzugsanstalten befasst. Realitätsnäher, weil sie häufiger gebraucht werden und der Bedarf angesichts der möglichen gehäuften Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen steigt, sind Gebäude für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sicherheit, Krisenvorsorge und Notfällen. Nebenbei bemerkt: Seit 2008 fährt die EU ein Programm für den Schutz kritischer Infrastrukturen, EPCIP, das die Bereiche Energie, Telekommunikation, Industrie und Transportmittel umfasst. Deren Betrieb sei für das Funktionieren Europas und für die ununterbrochene Gewährleistung der Dienste für die Bürgerinnen und Bürger unerlässlich.

Bei derartigen Gebäuden ist sehr vieles zu berücksichtigen. Zu einem Gesamtkonzept gehören die Errichtung und Bauweise selbst, aber auch Sicherheitskonzepte, die Zutritt und Nutzung regeln – etwa Alarmanlagen, eine Freifeldsicherung, Videoüberwachung und Zutrittskontrolle durch Schließanlagen. Im digitalen und mechatronischen Bereich. Die Sicherheitskonzepte dienen dazu, nicht nur ein angemessenes Schutzniveau für die Objekte zu gewährleisten, sondern auch für das darin arbeitende Personal. Sie müssen unterschiedlichste Bedrohungsszenarien und Gefahrenfälle abdecken. Abhängig vom Objekt sind passende Konzepte für bestimmte Schutzbereiche oder individuelle, das gesamte Gebäude betreffende Sicherheitslösungen notwendig.

Die Sicherheitskonzepte dienen dazu, nicht nur ein angemessenes Schutzniveau für die Objekte zu gewährleisten, sondern auch für das darin arbeitende Personal.

Vielfache Risiken

Nach einer entsprechenden Grundlagenermittlung zur Identifikation der erforderlichen Module und Bausteine des Sicherheitskonzepts geht es an die Bestands-Aufnahme sowie die Festlegung der schutzwürdigen Interessen, Schutzzieldefinitionen genannt. Zur Bedrohungsanalyse zählen die Evaluierung von Risiken wie Einbruch, Diebstahl, Terror und Vandalismus, technische Risiken, Cyberrisiken, natürliche Risiken wie Erdbeben oder Überflutungen, organisatorische Risiken, die Berücksichtigung sensibler Bereiche wie Rechenzentren, Archive et cetera und letztlich auch das Prüfen versicherungstechnischer Anforderungen. Hat man die Einteilung des Objektes in unterschiedliche Sicherungszonen nach dem Zwiebelschalenprinzip gemacht, geht es an die Beschreibung der Nutzungen und Verkehrswege. Zum Maßnahmenkatalog gehören nebst den baulichen Maßnahmen die technischen Anlagen und organisatorische sowie streng genommen auch personelle Maßnahmen.

(c) Fernando Menis

Musterbeispiel auf den Kanarischen Inseln

Ein Musterbeispiel für die Durchführung solcher Planungen und Realisierungen sind zwei Gebäude – sogenannte Edificios de Servicios Esenciales, kurz ESE, was wörtlich übersetzt so viel heißt wie Gebäude für essenzielle oder lebenswichtige Dienstleistungen – auf den Kanarischen Inseln. Die 24-Stunden-Dienste, die mit der regionalen Sicherheit und Services in Notfällen zu tun haben, waren davor in verstreuten Einrichtungen untergebracht. Die geplante Zusammenlegung nahm man gleich zum Anlass, die Resilienz der Gebäude gegenüber Naturkatastrophen, Auswirkungen des Klimawandels oder von Pandemien, Cyberangriffen oder Terrorismus zu erhöhen. Daher gab es 2021 eine öffentliche Ausschreibung für zwei derartige Gebäude mit einer Gesamtinvestition von fast EUR 80 Mio. Da es sich bei den Kanaren um ein Inselgebiet handelt, muss man berücksichtigen, dass Inseln anfälliger für ungünstige Klimaereignisse sind und dauerhaftere Infrastrukturen benötigen als auf dem Festland. Der Kanarische Archipel ist zudem immer wieder der Gefahr von Vulkanausbrüchen, Sahara-Staub und Hurrikanen ausgesetzt. Gleichzeitig ist es als zu Spanien zugehörig eines der fortschrittlichsten Inselterritorien der Welt, was die Versorgung und allgemeine Organisation von Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger betrifft. Die lokale Regierung betraute das Architekturbüro Fernando Menis mit der Umsetzung auf Teneriffa und auf Gran Canaria. Der Entwurf überzeugte mit zwei identischen, jedoch autonomen und technologisch hochleistungsfähigen Gebäuden, in denen jeweils mehr als 500 öffentliche Bedienstete ihren Arbeitsplatz haben. Sie werden jeweils eine bebaute Fläche von über 20.000 m2 aufweisen.

(c) Fernando Menis

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit

Die Tatsache, dass zwei Gebäude, die sich an verschiedenen Standorten befinden, das gleiche Design, die gleiche Bauweise haben, bedeutet, dass sie auf lange Sicht wirtschaftlich nachhaltiger sind, da sie einfacher zu betreiben und zu warten sind. Die ESEs sind energieeffizient, in hohem Maße resilient und so konzipiert, dass sie jeder Art von Ausnahmesituation standhalten können. Jedes ESE verfügt über einen äußeren Ring, der als Stützpfeiler fungiert, um den Folgen von Tsunamis, Flutwellen und sogar Lavaströmen standzuhalten, zu minimieren oder diese Einwirkungen umzulenken. Im Falle von Lavaströmen oder Tsunamis werde die organische Geometrie den Störfaktor zu den Seiten hin ableiten und so die Auswirkungen auf das Gebäude verringern, heißt es. Dies sei möglich dank der sehr duktilen, also der gut verformbaren Betonstrukturen. Die Umfriedungen, die von Wellenbrechern inspiriert sind, weisen die für die Gegend typische Vegetation auf. Die breiten Bürgersteige in den Zugangsbereichen und die Bäume sowohl im Inneren als auch an den Rändern der Grundstücke schaffen Räume des Übergangs von der öffentlichen Umgebung zum inneren Kern der Gebäude. So sind sie in ihrem jeweiligen städtischen Kontext integriert. Gleichzeitig können die massiven Baukörper auch zum architektonischen Wahrzeichen werden. Der Grundriss ist intuitiv: Es gibt einen Hauptkern im Eingangsbereich und zwei Nebenarme. So entsteht eine Art Straße im Inneren, die Vorderseite des Gebäudes ist weitgehend befreit. Die Arbeitszonen können modular und flexibel je nach Bedarf angepasst werden. Zu den funktionalen Räumen gehören die Büros, ein Krisensaal, Bürgerservice-Abteilungen, technische Räumlichkeiten – unter anderem der Sicherheitskontrollraum – sowie Gastronomie, Versammlungshalle, Medienraum, Parkhaus und Hochsicherheitsbereiche.

Viele Erholungs- und Grünzonen

Der Innengarten mit seiner großen Artenvielfalt und die über das gesamte Gebäude verteilten Ruhezonen werden dazu beitragen, dass die Mitarbeitenden den extremen Stress, den ihr Beruf üblicherweise mit sich bringt, abbauen können. Es ist daran gedacht, die Flächen mit Bromelien, Rosmarin, Jasmin, niedrigen Nadelbäumen, Orangenbäumen, Jungfernhaar und Farnen zu bepflanzen. Abgerundet werden sie mit bunten Zonen mit mehrfarbig blühenden Blumen, einer Zone mit niedrigen Sträuchern und einer mit vertikalen Gärten. Der Innenhof wird auch ausreichend Raum für Begegnung, Erholung, Freizeit und Sport bieten. Das Gebäude verfügt außerdem über eine 2,80 m breite und 300 m lange Aussparung, die die drei oberen Stockwerke mit Licht und natürlicher Belüftung versorgt. Die mit dem Haupthof im Freien verbundene Rampe erlaubt die Nutzung dieser zur sportlichen Ertüchtigung und Erbauung. Sie kann aber auch für sicherheitstechnische Übungen genutzt werden.

Die verglaste Fassade aus niedrig emittierendem Doppelglas ist mit einem Sonnenschutzsystem ausgestattet, das den Sonneneinfall um mehr als 80 % reduziert. Der Farbton des Glases verändert sich dabei nicht. Die Fassade hält zudem Windgeschwindigkeiten von mehr als 280 km/h stand. Sie ist somit auch in der Lage, Stößen fester Körper Widerstand zu leisten. Das horizontale Lamellensystem der Fassade ermöglicht den Blick nach draußen sowohl von der Sitzposition an den Tischen als auch von einer stehenden Haltung aus. Die natürlichen Lichtverhältnisse und die Temperaturen im Inneren werden von einem Kontrollsystem gesteuert und kontinuierlich angepasst.

Das Energierückgewinnungssystem wird zur Erwärmung von Wasser verwendet, sodass die von den Servern erzeugte Hitze nicht nutzlos an die Umwelt abgegeben wird.

Nachhaltiges Rechenzentrum

Beide Gebäude werden über ein Datenverarbeitungszentrum mit einer Fläche von jeweils 350 m2 verfügen. Diese Rechenzentren sind nachhaltig konzipiert: Das Energierückgewinnungssystem wird zur Erwärmung von Wasser verwendet, sodass die von den Servern erzeugte Hitze nicht nutzlos an die Umwelt abgegeben wird. Nachhaltig werden auch die Belüftung und die Klimaanlage der ESEs sein: Während natürliche und optimale Luftqualität groß geschrieben wird, wird auch die Klimaanlage Energieeinsparungen ermöglichen. Dieses Ziel zu erreichen, hilft auch die 8 cm dicke Wärmedämmung der Gebäudehülle. Die ESEs werden außerdem über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach mit einer Leistung von 90 kW verfügen, um den Betrieb der Klimaanlage zu unterstützen. Weiters verbessert die Dachverkleidung mit Picón, ein einheimisches Vulkangestein, die Energieeffizienz des Gebäudes, indem es seine Wärmeträgheit erhöht. Daneben wirkt die Porosität als natürliche Schallisolierung, so können Hubschrauber fast unhörbar am Gebäude landen. Fernando Menis, der berühmt ist für die Gestaltung von Konzertsälen und Auditorien, zeigt mit diesen Projekten eindrucksvoll, wie man Sicherheit und Nachhaltigkeit verbindet.

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