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LEAN in Japan

Andere Voraussetzungen, andere Geräte, andere Methoden – bei einer Exkursion des Studiengangs Lean Baumanagement nach Japan haben zehn Studierende der PORR viele neue Eindrücke gesammelt.

Wir lieben Optimierung. Wir hinterfragen eingefahrene Strukturen. Wir sind auf der Suche nach Wegen, bessere Voraussetzungen zu schaffen - für alle Leistungsbringenden in der PORR. Für uns PORRianerinnen und PORRianer aus dem Masterstudium Lean Baumangement ist die Organisation einer Exkursion zum Studienabschluss verpflichtend. Warum also nicht in das Land reisen, aus dem diese Denkweise kommt? Japan also. Mit 36 Teilnehmenden aus der Baubranche –  darunter zehn PORRianerinnen  und PORRianer aus Österreich, Deutschland und Polen – startete die einwöchige Veranstaltung am 15. Mai in Tokyo.

Ein Blick über den Tellerrand

Den ersten Einblick in die Baukultur Japans durften wir beim Bau von 43-stöckigen Zwillingstürmen machen. Von einem Hochhaus aus dem Jahr 1984 schauten wir auf die Baustelle. Das wird abgetragen und durch den Nordturm ersetzt werden, sobald der erste Turm fertig ist. Was uns in dem Moment klar wurde: Die Lebenszeit von japanischen Gebäuden ist kürzer. Und Platz ist rar. Wie rar, das sollten wir noch lernen. 

Wie in Japan ein altes Bauwerk durch ein neues ersetzt wird, konnten wir auch bei einem Krankenhauses miterleben, das direkt neben dem Bestandskrankenhaus errichtet wird. Und direkt daneben bedeutet in dem Fall: nur wenige Zentimeter entfernt. Flächen für Baustelleneinrichtung, so etwas gibt es hier nicht. Als Europäerin oder Europäer kann man sich das kaum vorstellen. Doch in Japan behilft man sich mit einer Stahlplattform, auf der Platz für Bagger und Material geschaffen wird. Wir haben also gelernt, dass unsere großen Herausforderungen – Platzmangel oder Lieferlogistik – hier noch stärker zum Baualltag gehören. Und wir staunten über die Art der Geräte, die im Einsatz sind – winzige Seilbagger, teleskopierbare Ausleger im Kleinformat.

Anders geht man auch mit dem Thema Ordnung und Sauberkeit um. Weiße Handschuhe gehören zur Standardausrüstung und werden auf der Baustelle permanent getragen. Man hat fast den Eindruck, die Kolleginnen und Kollegen bekommen diese Handschuhe, damit sie auf der Baustelle nichts schmutzig machen. So sauber ist es. Die Ansprüche an die Arbeitssicherheit sind ebenfalls hoch, aber für das Baustellenteam selbstverständlich: Es wird sehr penibel abgesperrt, geschützt, eingenetzt, mit Planen verhängt oder mit Hüten umstellt, was nur geht. Hier gilt vor allem eines: Eigenverantwortung. Auf die Frage, wie hier alle so motiviert werden können, auf Ordnung zu achten, war die Antwort: „Das lernt man doch schon im Kindergarten.“ Und tatsächlich ist es so, dass die Kinder in Japan zumindest einmal in der Woche gemeinsam die Schule putzen. „Hier sind die Dinge so, wie wir gelernt haben, dass sie sein sollen“, bemerkte ein Teilnehmer. Sehr treffend.

Stahlplattform als Baustelleneinrichtungsfläche (c) PORR

Andere Länder, andere Methoden

Wir konnten auch eine in Bau befindliche TV- und Radio-Station für den japanischen Rundfunk NHK besichtigen. Auffällig war, dass es keinen klassischen Stahlbetonbau gibt. Stattdessen wird Trapezblech zwischen tragende Stahlkonstruktionen eingebaut, das gleichzeitig als verlorene Schalung dient, weil direkt auf das Aluminiumblech betoniert wird. Die Randelemente als Halbfertigteile werden dafür teilweise direkt vor Ort hergestellt, auf mehrgeschossigen Bühnen und Förderbändern. Sämtliche Träger werden schon vor Versetzen mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen versehen, um vor allem in kritischen Bereichen den Schutz des Personals ganzheitlich zu gewährleisten. So sind auch Anschlagmöglichkeiten und Ösen zur Befestigung von Kabeln, Leitungen und Beleuchtung schon im angelieferten Träger vorhanden.

Über andere Dinge, die man uns als Innovation zu verkaufen versucht, konnten wir andererseits nur müde lächeln. Mehrschichtige Verglasung ist in Japan beispielsweise ein Novum.  Dafür lernten wir etwas über ganze neue Herausforderungen: Im Zuge eines Besuchs an der Tokyo University of Science trafen wir einen Professor, der Bauelemente zur Erdbebenstabilität entwickelt, und begutachteten ein Gebäude, an dem diese überdimensionalen Stoßdämpfer sogar außen nachgerüstet wurden. Solche Exoskelette dürften vor allem bei Bestandsgebäuden im Erdbebenland Japan einen wesentlichen Markt finden.

Die Wiege der LEAN-Schöpfung

Mit dem Bullet Train Shinkansen brach die Gruppe am Abend des zweiten Exkursionstages nach Osaka auf – dem Ort, an dem 2025 die Weltausstellung stattfinden soll. Dafür wird eigens eine Insel gebaut, ein sogenanntes Land-Reclamation-Project im Ausmaß von 390 ha. Sie wird für die EXPO den jeweiligen Ländern für eine Bebauung übergeben. Unter dem Motto Designing Future Society for Our Lives beteiligt sich auch Österreich mit einem Pavillon. Wir warfen einen Blick auf die gewaltigen Erdarbeiten im Meer.

Bei einem Hochbauprojekt mit einer Grundfläche von 1.600 m2 und 150 m Endhöhe bekamen wir Einblicke in durchdachte Haustechnik mit Schwerkraftbelüftung, Taglichtsensorik und effizienter Kraft-Wärme-Kopplung. Und wir konnten wieder einmal die strukturierte Baustellenführung bewundern. Den folgenden Vormittag verbrachten wir bei Takenaka, einem der größten Bauunternehmen Japans, das als Totalunternehmer einige der renommiertesten Gebäude des Landes umsetzen konnte. Und zwar seit mehr als 400 Jahren. Denn die Wurzeln des Unternehmens reichen ins Jahr 1609 zurück. Staunen ließen uns auch die Projekte. So hat Takenaka zum Beispiel den Tokyo Tower als eines der Wahrzeichen der Stadt von der Planung bis zum Bau realisiert. Wir sprachen über das Prinzip der integrierten Projektabwicklung und die Erfahrungen, die man in Japan damit machen konnte. In puncto Umsetzung ist man uns hier gefühlt schon etwas voraus, aber wir erkannten Parallelen und ähnliche Herausforderungen.

Als letzten Programmpunkt besichtigten wir das in Bau befindliche Mitsubishi Building in Osaka, in dem zwar in den obersten von 32 Stockwerken noch der Stahlbau in vollem Gange, in den unteren Geschossen aber schon quasi schlüsselfertiger Ausbau mit funktionierender Haustechnik nutzbar ist. Mit fantastischem Ausblick über die Stadt endete unsere Tour. Ein Teil der Gruppe machte sich zum Abschluss der Exkursion noch auf den Weg nach Toyota, der Wiege der Schöpfung, könnte man im LEAN-Kontext etwas übertrieben sagen. Denn hier in der japanischen Automobilbranche hat das Bestreben nach Optimierung und Fokus auf den Menschen seinen Ursprung. Mit zwei ehemaligen Vorarbeitern aus der Toyota Automobilproduktion arbeiteten wir einen Tag lang an Verbesserung und Methoden, Verbesserungsbedarf aufzuzeigen. Wir erkannten, wie banale Änderungen den Alltag von Arbeitern erleichtern und gleichzeitig die Produktion erhöhen. Win-win auf ganzer Linie.

Beim Toyota-Produktionstraining (c) PORR

Viel Liebe zum Detail

Schlafende Arbeiter im Pausenraum. Baustellenempfang mit grünem Tee. Schwarzes Brett im Manga-Stil. Und zahlreiche Verbeugungen. Manche Klischees haben sich bewahrheitet. Aber wir haben auf den Baustellen auch gesehen, mit welcher Einstellung, mit wie viel Leidenschaft und Stolz die Menschen hier arbeiten. Auch wenn die Effizienz unter der perfekten Ordnung etwas leidet- denn das braucht natürlich Zeit und Ressourcen -, können wir dem Ganzen etwas abgewinnen. Was hier länger dauert oder mehr Arbeitskräfte braucht, dürfte sich wirtschaftlich auszahlen, es zieht sich von Projekt zu Projekt. Liebe zum Detail als Geschäftsmodell, das dürfte in Japan funktionieren. Das gelobte Land ist es aber natürlich nicht. Es gibt viel zu hinterfragen. Aber wir freuen uns zu sehen, was alles möglich ist.

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